Gesundheitsgefährdung durch Schwefelwasserstoff? – Umgang eines Betriebes mit der Einwirkung von Geruchsbelästigungen aus einem betrieblichen Abwasserkanal
Gewerbeärzte sind vielfältig in das Thema Arbeitsschutz eingebunden. Neben ihrer Überwachungstätigkeit fungieren sie häufig als Berater für Arbeitsschutzakteure von Firmen, für Ärzte und Arbeitnehmer in speziellen medizinischen Fragestellungen. Die Themen betreffen vorwiegend berufsbezogene Infektionskrankheiten, Erkrankungen durch Gefahrstoffe und psychische Belastungen. Für den gewerbeärztlichen Dienst in Regensburg ergibt sich eine regionale Zuständigkeit für Niederbayern und Oberpfalz.
Hausärztliche Mitteilung an das Gewerbeaufsichtsamt in Landshut
Ein Hausarzt berichtete über Gesundheitsstörungen bei einer Montage-Mitarbeiterin eines Unternehmens nach Exposition gegenüber Schwefelwasserstoff. Beklagt wurden Augenbrennen, Reizung und Kratzen im Hals sowie Übelkeit und Kopfschmerzen. Im betroffenen Betrieb gibt es auf mehrere Hallen verteilt Arbeitsbereiche u. a. für Metallbearbeitung, und Oberflächenbehandlung. Eine produktionsbedingte Gefährdung durch Schwefelwasserstoff war aus gegebenen Informationen zunächst nicht zu eruieren.
Steckbrief Schwefelwasserstoff
Schwefelwasserstoff (Synonyme: Wasserstoffsulfid, Dihydrogensulfid) ist ein Erstickungsgas, die toxische Wirkung ergibt sich aus der Blockade des intrazellulären Sauerstofftransportes mit der Folge eines peripheren Sauerstoffdefizites und Organschäden des zentralen und kardiovaskulären Systems. Zusätzlich wirkt die Substanz lokal reizend auf die Schleimhäute der Augen und der Atemwege. Schwefelwasserstoff ist farblos mit einem charakteristischen Geruch nach faulen Eiern, dessen Warnwirkung bei hohen Konzentrationen durch Blockade der Geruchsrezeptoren nicht mehr wahrgenommen wird. Der Arbeitsplatzgrenzwert liegt bei 5 ml/m3 = 5 ppm = 0,0005 %, die Geruchsschwelle ist um den Faktor 50-250 geringer, bei großen interindividuellen Schwankungen. Gesundheitliche Schäden sind ab Konzentrationen von 20 ppm in Form von Augenreizungen zu erwarten, Konzentrationen > 500 ppm sind lebensgefährlich. Nach längerfristiger SchwefelwasserstoffExposition sind Defizite im Gedächtnis, Reizbarkeit, Störung des Gleichgewichts- und des Geruchsinns beschrieben. Schwefelwasserstoff entsteht bei Fäulnisvorgängen von pflanzlichen und tierischen Materialen durch Zersetzung schwefelhaltiger Aminosäuren. Im beruflichen Kontext treten Gefährdungen in Abwassergruben und Klärwerken sowie in der chemischen Industrie auf.
Ermittlung des gewerbeärztlichen Dienstes vor Ort
Angesichts der unklaren Situation nahmen die zuständigen Gewerbeärzte zusammen mit der sehr kooperativen Geschäftsführung, den betrieblichen Arbeitsschutzverantwortlichen, dem Betriebsarzt und der Personalvertretung eine Besprechung und Besichtigung im Betrieb vor. Wenige Monate vorher war in einer Montagehalle eine massive übelriechende Geruchsentwicklung aufgetreten. Die Beschäftigten klagten zusätzlich über Schleimhautreizungen und Übelkeit. Im Rahmen eines Notfalleinsatzes wurde das Gebäude evakuiert und durch die Feuerwehr entlüftet, anhand des charakteristischen Geruchs wurde eine Exposition gegenüber Schwefelwasserstoff verifiziert, eine Luftmessung zum Zeitpunkt des Einsatzes war nicht erfolgt. Bereits im Vorfeld des Ereignisses war über einige Tage ein unangenehmer Geruch nach faulen Eiern im Außenbereich insbesondere aus Kanaldeckeln wahrgenommen worden.
Die vom Betrieb unmittelbar eingeleitete Ursachenforschung richtete den Fokus rasch auf die betriebseigene Wasseraufbereitung, in der metallkomplexhaltige Abwässer vor Zuführung in die öffentliche Kläranlage vorbehandelt werden mussten. Als Fällungsmittel für Metalle wurde neben Hydroxiden auch Natriumsulfid eingesetzt mit prozessbedingter Schwefelwasserstoff-Bildung und typischem Sulfidgeruch. Zur technisch bedingten Schwefelwasserstoff-Bildung summierte sich vermutlich die biologische Entstehung durch Verwesung von pflanzlichen Proteinen und Fäkalien im Kanalschacht. Wegen Geruchsbelästigung am Betriebsgelände waren die Kanalschächte abgedichtet worden, womit vermehrt anaerobe Gärungsprozesse mit Rückstau in Abluftsysteme unterhalten wurden. Über die Lüftungsanlage erfolgte die Verteilung in die betroffene Montagehalle, zusätzlich war die Geruchsproblematik durch die geographische Lage bei Inversionswetterlage aggraviert worden.
Von Seiten des Betriebes wurden umgehend Abhilfemaßnahmen ergriffen. Neben der ausreichenden Belüftung der Kanalschächte war eine Optimierung der Fällungsverfahren für Schwermetalle vordringlich, wobei sowohl Arbeitsschutz- als auch Umweltschutz- und finanzielle Aspekte zu berücksichtigen waren. Zum Zeitpunkt der Besprechung waren Arbeitsplatzgrenzwerte im Bereich der Abwasseraufbereitung eingehalten und Gerüche minimiert. Betroffenen Mitarbeitern wurde eine betriebsärztliche Untersuchung ermöglicht, abgesehen von passageren Schleimhautreizungen waren keine organischen Gesundheitsschäden erhoben worden.
Die Besichtigung des Betriebes mit Schwerpunkt der betroffenen Montagehalle ergab folgende Aspekte:
- Verunsicherung der Mitarbeiter: Nachdem Geruchsbelästigungen geringer Ausprägung passager weiterhin auftraten, wurden Befindlichkeitsstörungen subjektiv in kausalen Zusammenhang gebracht, die Differenz zwischen Geruchsschwelle und Gesundheitsgefährdung war nicht hinreichend präsent.
- Informationsdefizit und mangelnde Transparenz: Informationen über die Unbedenklichkeit der Arbeitsbedingungen waren zwar an die Mitarbeiter weitergegeben worden, getroffene Maßnahmen waren aus Sicht der Mitarbeiter nicht ausreichend und nachvollziehbar erläutert worden. Schadstoffmessungen am Arbeitsplatz waren mit Begründung der sicheren Einhaltung der Grenzwerte im Bereich der Kanalisation abgelehnt worden.
Fazit
Obwohl, abgesehen vom Akutereignis, durch umgesetzte Maßnahmen keine Gesundheitsgefährdung für die Mitarbeiter bestand, wurde das Betriebsklima merklich beeinträchtigt. Sowohl für Mitarbeiter als auch Vorgesetze bestand eine erhebliche psychische Belastung, weswegen neben verbesserter Information und Kommunikation die Devise des Geschäftsführers klar formuliert wurde: Der Geruch muss weg!